Dr. Till Müller-Heidelberg: Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen

Für die öffentliche Anhörung im Innenausschuss des Hessischen Landtags am 08.02.2018 legt die Humanistische Union, die älteste Bürgerrechtsorganisation Deutschlands, diese Stellungnahme ihres Beiratsmitglieds und früheren Bundesvorsitzenden Dr. Till Müller-Heidelberg vor.
Dr. Till Müller-Heidelberg
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Steuerrecht
Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht
Wirtschaftsstrafverteidigung

Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen

vom 14.11.2017
Drucksache 19/5412
Vorbemerkung
Diese Stellungnahme befasst sich nur mit Artikel 1 des Gesetzesentwurfs, also mit dem vorgesehenen Verfassungsschutzgesetz. Nicht betrachtet wird Artikel 2 zum Verfassungsschutzkontrollgesetz. Dieses Gesetz vermag an der weitgehend folgenlosen parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes nichts zu ändern. Stattdessen wird verwiesen auf die Analyse und die Vorschläge des ehemaligen Bundesrichters und langjährigen Mitgliedes des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Bunde, Wolfgang Neskovic, in der Zeitschrift Vorgänge, Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Heft 215 vom Oktober 2016 Seite 21 f. „Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste – ein makabrer Witz. Vorschläge zur Reform der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste.“
Die Stellungnahme befasst sich ebenfalls nicht mit dem Datenschutz und den technischen IT-Fragen, insbesondere der höchstproblematischen Quellen – TKÜ und dem Zugriff auf infomationstechnische Systeme; insoweit wird darauf vertraut, dass etwa der Chaos Computer Club, die Datenschutzbeauftragten, das Forum Informatikerinnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung in ihren Stellungnahmen qualifiziert darauf eingehen.
Schlußendlich ist zu bedauern, dass der Gesetzesentwurf sich – wie er auch selbst hervorhebt – weitgehend an das Bundesverfassungsschutzgesetz vom 17.11.2015 anlehnt, insbesondere auch in der höchst problematischen Regelung für verdeckte Ermittler und V-Leute, statt sich das gegenwärtig modernste und rechtsstaatlich beste Verfassungsschutzgesetz zum Vorbild zu nehmen, das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz vom 15.09.2016.
Zur Kritik am Bundesverfassungsschutzgesetz verweise ich auf das Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2016/2017 im Verlag für Polizeiwissenschaft Porf. Dr. Clemens Lorei, Frankfurt von den Herausgebern Möllers / van Ooyen mit dem Beitrag des Verfassers dieser Stellungnahme auf den Seiten 95 f. „Reform des Verfassungsschutzes nach der NSU-Affäre?“.
Den Abgeordneten des hessischen Landtages wird dringend empfohlen, bei der Beratung des vorliegenden Gesetzesentwurfs das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz zum Maßstab zu nehmen und entsprechende Änderungen herbeizuführen. Stellungnahme zum Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen 1.
Die Kritik muss beginnen bereits mit der Präambel des Gesetzesentwurfs, wonach der Verfassungsschutz angeblich die analytischen Kompetenzen zur Beurteilung jener Gefahren vorhält, die Demokratie und Menschenrechten durch extremistisches Gedankengut drohen. Abgesehen davon, dass die Analyse oder Bekämpfung von Extremismus gemäß § 2 des Gesetzesentwurfes nicht zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes gehört, setzt sich der Gesetzesentwurf und damit der Verfassungsschutz hiermit in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, nach welchem es sich hierbei nämlich lediglich um einen politischen Kampfbegriff handelt, nicht jedoch um einen klaren Rechtsbegriff, an den Aufgaben oder Befugnisse anknüpfen könnten (Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 08.12.2010 Aktenzeichen: 1 BvR 1106/08):
„Ob eine Position als extremistisch… einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ihre Beantwortung steht in unausweislicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen, die Abgrenzungen mit …. rechtlicher Bedeutung, welche in rechtsstaatlicher Distanz aus sich heraus bestimmbar sind, nicht hinreichend erlauben.“
Dasselbe – nämlichkeine Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde – gilt für die im Problemaufriss Al und in der Gesetzesbegründung genannte Bekämpfung terroristischer Straftaten. Aufgabe des Verfassungsschutzes ist nach § 2 neben Spionageabwehr, der Bekämpfung von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und einigen weiteren Aufgaben, die nicht im Fokus der Diskussion stehen, im Kern die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Terrorismus hingegen – auch etwa ein Bombenanschlag oder der Angriff auf einen Weihnachtsmarkt – ist nicht eine Bestrebung, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet ist, sondern schlicht eine Straftrat.
„Für die Überwachung des gewalttätigen Extremismus reicht die Polizei aus, hier kann der Verfassungsschutz kaum eigene Beiträge leisten….“
Daraus folgt: Eine Konzentration der Aufgaben des Verfassungsschutzes auf den gewalttätigen Extremismus verweist diesen auf ein Feld der Polizei und führt zu Doppelarbeit ohne erkennbare Effizienzgewinne. Die Aufgabe des Verfassungsschutzes auf dem Gebiet der (und der Mitwirkung an der) Aufklärung von Straftaten ist zurückzuführen auf eine Zusammenarbeits- und Unterstützungspflicht ohne eigene originäre Zuständigkeiten (Christoph Gusy, Reform der Sicherheitsbehörden, in ZRP 2012, 230. 231; ebenso Sächsischer Verfassungsgerichtshof vom 11.07.2005 Az.: Vf. 67-11 -04; weiter der ehemalige schleswig-holsteinische
Innenmenister Prof. Hans-Peter Bull, Verfassungsschutz und/oder polizeilicher Staatsschutz, in Recht und Politik 2015, Seite 1 f.).
Die grundlegende Begründung des Gesetzesentwurfes, extremistischen und terroristischen Bestrebungen künftig effektiver entgegentreten zu können, taugt somit als Begründung für den Gesetzesentwurf nicht, da es sich hierbei nicht um Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden handelt. 2.
Die Kernaufgabe des Verfassungsschutzes in Deutschland ist kraft Gesetzes die „Sammlung und Auswertung von Informationen…. über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung…, gerichtet sind.“ Insoweit wäre es wünschenswert, wenn das Gesetz diese Aufgabe und das dabei zu beachtende Verfahren näher präzisieren würde, wie es etwa das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz in den §§ 6-8 unter der Überschrift „Bestimmung zum Beobachtungsobjekt“ tut.
Es unterscheidet die Verdachtsgewinnung (§ 8), das Verdachtsobjekt (§ 7) und schließlich das Beobachtungsobjekt (§ 6) und legt für die verschiedenen Stufen das Verfahren fest.
In der Verdachtsgewinnungsphase wird anhand tatsächlicher Anhaltspunkte geprüft, ob ein Anfangsverdacht für eine oben genannte Bestrebung nach § 2 vorliegt. Gründe und Beginn der Verdachtsgewinnungsphase sind zu dokumentieren; die Verdachtsgewinnungsphase ist auf ein Jahr begrenzt.
In der Verdachtsphase nach § 7, deren Gründe und Beginn ebenfalls zu dokumentieren sind, „wird durch planmäßige Beobachtung und Aufklärung eines Personenzusammenschlusses oder einer Einzelperson (Verdachtsobjekt) geprüft, ob das Verdachtsobjekt die Voraussetzung einer Bestrebung erfüllt.“ Die Verdachtsphase ist grundsätzlich auf zwei Jahre begrenzt. Sind tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer oben genannten Bestrebung gegeben, so wird nach § 6 Absatz 2 das Beobachtungsobjekt vom Minister oder seinem Staatssekretär bestimmt; die Gründe sind zu dokumentieren. Die Bestimmung ist grundsätzlich auf höchstens vier Jahre zu befristen (und kann ggf. verlängert werden).
Eine solche verfahrensmäßige Regelung sollte auch in das Hessische Verfassungsschutzgesetz aufgenommen werden, da es sich hierbei immerhin um die Kernaufgabe des Verfassungsschutzes handelt. Ein Abdruck der genannten Paragraphen des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes ist beigefügt.
§ 2 des Gesetzesentwurfes nennt die Aufgaben des Hessischen Verfassungsschutzes, die weitgehend den Regelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes und der Verfassungsschutzgesetze der anderen Länder entsprechen; allerdings wird in Absatz 2 Ziffer 5 entgegen dem Gesetz des Bundes und fast aller Länder zur Aufgabe des Hessischen Verfassungsschutzes erklärtauch die Sammlung von Informationen über „Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität im Geltungsbereich des Grundgesetzes.“ In § 3 Abs. 2 wird sodann die Organisierte Kriminalität definiert gemäß den „Gemeinsamen Richtlinien der Justiz und Innenminister der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität“, die in Ergänzung zur Strafprozessordnung aufgestellt worden sind.
Die Organisierte Kriminalität ist schlicht ein Straftatbestand. Die Gesetzgebungsbefugnis für das Straf- und Strafprozessrecht liegt jedoch nach Artikel 74 Abs. 1 Ziffer 1 Grundgesetz beim Bund. Den Ländern fehlt hinsichtlich der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität die Zuständigkeit, sie wäre auch überflüssig.
Eine entsprechende Regelung wie im Hessischen Gesetzesentwurf war früher auch im Sächsischen Verfassungsschutzgesetz enthalten. Hierzu hat der Sächsische Verfassungsgerichtshof in Ziffer 109 seines Urteils vom 21.07.2005 (Az.: Vf. 67-11-04) festgestellt, dass die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität „zu den Kernaufgaben der Polizei- und Strafverfolgungsbehörden gehört“ und daher in einem Landesverfassungsschutzgesetz verfassungswidrig und nichtig ist.
In der Regelung der Aufgaben des Verfassungsschutzes hat das Bundesverfassungsschutzgesetz in seinem § 3 Abs. 3 eine Regelung aufgenommen, die interessanterweise der Hessische Gesetzesentwurf trotz seiner Anlehnung an das Bundesverfassungsschutzgesetz nicht vorsieht. Dort heißt es: „Die Verfassungsschutzbehörden sind an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes).“ Man mag dies für eine überfüssige Selbstverständlichkeit halten – angesichts der häufigen Missachtung der allgemeinen Gesetze durch die Verfassungsschutzbehörden in der Vergangenheit ist es aber leider keine Selbstverständlichkeit, sodass empfohlen wird, auch in § 2 Abs. 5 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzentwurfs eine derartige Regelung aufzunehmen.
In § 4 regelt der Gesetzesentwurf die Informationserhebung. In dessen Absatz 8 ist geregelt, dass auch von unbeteiligten Personen, bei denen klar ist, dass sie nicht zu den gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen gehören, dennoch unter bestimmten Voraussetzungen personenbezogene Daten erhoben werden dürfen. Wieso denn das?! Diese Personen dürfen kraft Gesetzes überhaupt nicht Gegenstand der Beobachtung durch den Verfassungsschutz sein und noch viel weniger Gegenstand der Erhebung ihrer personenbezogenen Daten. § 4 Abs. 8 ist ersatzlos zu streichen.
§ 5 des Gesetzesentwurfs regelt die Informationserhebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Positiv festzustellen ist, dass hier in Absatz 2 die verschiedenen nachrichtendienstlichen Mittel aufgeführt werden, was auch nach dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts für Eingriffe in Freiheitsrechte verfassungsrechtlich geboten ist, denn nachrichtendienstliche Mittel greifen sicherlich besonders stark in die Grundrechte ein und müssen daher vom Gesetzgeber (und nicht etwa lediglich durch Verwaltungsrichtlinien) festgelegt werden.
Nach Absatz 3 sollen die einzelnen Verfahrensvorschriften des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel durch Dienstvorschrift geregelt werden, die der Parlamentarischen Kontrollkommission lediglich zur Information übersandt werden. Dies ist unzureichend. Die Regelung sollte die vorherige Zustimmung der Parlamentarischen Kontrollkommission vorsehen.
Darüber hinaus sollte nach dem Beispiel des § 21 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes der Einsatz besonders eingriffsintensiver nachrichtendienstlicher Mittel wie insbesondere der Einsatz von Verdeckten Ermittlern von der Entscheidung des Ministers oder des Staatssekretärs abhängig gemacht werden. Ein Abdruck der einschlägigen §§ 14 und 21 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes ist beigefügt.
Nach dem Muster des Bundesverfassungsschutzgesetzes regelt der Entwurf in §§13, 14 den Einsatz und die Befugnisse von Verdeckten Ermittlern (Beamten) und Vertrauensleuten. Zwar entspricht die vorgesehene Regelung derjenigen auf Bundesebene, sie ist aber rechtsstaatlich keinesfalls hinnehmbar,wie insbesondere ein Vergleich mit § 16 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz zeigt.
Nach dem Muster des Bundesverfassungsschutzgesetzes regelt § 13 zunächst den Einsatz und die Befugnisse von verdeckten Mitarbeitern (also Beamten) und erklärt diese Regelungen dann in § 14 als auch für Vertrauensleute anwendbar, sodass bereits bei der Analyse des § 13 auch die Vertrauensleute gleich mitgedacht werden müssen. 2. a)
Nach § 13 Abs. 2 dürfen Verdeckte Mitarbeiter „weder zur Gründung von .. noch zur steuernden Einflussnahme auf derartige Bestrebungen eingesetzt werden.“ Die Zielrichtung dieser Regelung ist zwar richtig, ihre Ausgestaltung aber unzureichend. Die hiermit angestrebte „Begrenzung“ des Einsatzes ist nur eine scheinbare, denn sie schließt lediglich aus,das „eingesetzt-werden zur steuernden Einflussnahme“, d. h. die Absicht der Verfassungsschutzbehörde, durch den Einsatz die Bestrebung zu steuern. Diese Absicht wird zumindest kaum je dokumentiert oder nachweisbar sein. Will man mit der vorgesehenen Vorschrift tatsächlich eine Begrenzung erreichen, muss sie formuliert werden: „Verdeckte Mitarbeiterinnen und Verdeckte Mitarbeiter dürfen weder zur Gründung einer strafbaren Vereinigung eingesetzt werden, noch steuernden Einfluss auf die Bestrebung haben.“ 3. b)
Erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte wird gesetzlich festgeschrieben, dass Verdeckte Ermittler Straftaten begehen dürfen. Beamtete und aus Steuermitteln bezahlte Straftäter! Und dasselbe gilt dann auch über § 14 für V-Leute. Diese Straftaten sollen dem Verdeckten Ermittler erlaubt sein nach § 13 2 Satz 3 Ziffer 2, wenn sie “ von den an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet werden, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich sind“ und nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhaltes stehen.
Auch dies ist nur eine scheinbare Begrenzung, tatsächlich eine Entgrenzung. Denn etwa strafbare Handlungen wie Nötigung, Körperverletzung, Erpressung, Drogenhandel, unerlaubter Waffenbesitz usw. usw. werden eben von Beteiligten zumindest an gewaltbereiten Bestrebungen und strafbaren Vereinigungen als so genannte „Keuschheitsprobe“ erwartet und sind somit „ununmgänglich“ und damit nach dem Wortlaut des Gesetzes erlaubt! Und da es nach Auffassung der Verfassungsschutzbehörde immer um bedeutende aufzuklärende Sachverhalte geht – sonst würde die Verfassungsschutzbehörde sich ja nicht darum kümmern und schon gar nicht durch den riskanten Einsatz Verdeckter Ermittler – sind in Zukunft nach diesem Gesetzesentwurf alle diese Straftaten für Verdeckte Ermittler zulässig, vielleicht mit Ausnahme von Mord.
Dass mit dieser Regelung statt einer Begrenzung von Straftaten eine Entgrenzung die Folge ist, wird deutlich in § 13 Abs. 2 Satz 4 u. 5. Danach soll nämlich im Grundsatz der Einsatz eines Verdeckten Mitarbeiters beendet werden und die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet werden, wenn der Verdeckte Mitarbeiter einen Straftatbestand „von erheblicher Bedeutung“ verwirklicht hat – aber über Ausnahmen selbst hiervon entscheidet die Behördenleitung oder ihre Vertretung, also selbst beim Begehen von Straftaten erheblicher Bedeutung! Selbst in diesen Fällen soll der Behördenleiter also die Fortsetzung des Einsatzes des Verdeckten Ermittlers (und folglich über § 14 auch der V-Person, und somit zum Beispiel auch die Bezahlung der Straftat) beschließen und die Staatsanwaltschaft nicht informieren dürfen. Mit dem Verständnis als Rechtsstaat ist eine solche Regelung nicht vereinbar.
Diese im Gesetzesentwurf vorgesehenen Regelungen sind in einem demokratischen Rechtsstaat zu streichen. Stattdessen sollte nach dem Vorbild des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes § 16 Abs. 4 konkret geregelt werden, welche Straftaten verdeckte Mitarbeiter (und V-Leute) begehen dürfen, weil sie sonst ihre Arbeit gar nicht erledigen könnten, nämlich Mitglied zu sein bei der Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei, bei einem Verstoß gegen ein Vereinsverbot, bei der Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen oder dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Kennzeichen, bei geheimdienstlicher Tätigkeit (zur Aufklärung fremder Spionage) oder bei der Mitgliedschaft in kriminellen oder terroristischen Vereinigungen sowie bei bestimmten Verstößen gegen das Versammlungs- oder Vereinsgesetz ( z.B. Vermummungsverbot). Ein Abdruck von § 16 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes ist beigefügt. 1. c)
Weitgehender Konsens besteht in der politischen Diskussion, dass der Einsatz von V-Leuten, ihre Auswahl und ihre Führung strenger begrenzt werden müssen als bisher. Demzufolge schreibt § 14 Abs. 2 Satz 1 vor, dass V-Leute „geeignet“ sein müssen. Dies ist eine nichtssagende Floskel, denn keine Verfassungsschutzbehörde wird eine nicht geeignete Vertrauensperson einsetzen wollen. Dies müsste präzisiert oder weggelassen werden.
Nach § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 darf als V-Person nicht eingesetzt werden, wer „von den Geld oder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als alleinige Lebensgrundlage abhängig wäre“. Ansatzpunkt für diese Regelgung ist offensichtlich der bekannt gewordene Fall von Timo Brandt, der vom Verfassungsschutz mit 200.000 DM alimentiert wurde. Nur: “ alleinige“ Lebensgrundlage einer V-Person werden die Geldzuwendungen des Verfassungsschutzes nie sein, zumindest wird sie Hartz IV beziehen oder Gelegenheitsverdienste haben. Diese scheinbare Begrenzung ist also
Wenn eine ernsthafte Begrenzung gewollt wird, dann dürfen V-Leute nicht angeworben oder eingesetzt werden, die von den Geld- oder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als wesentliche Lebensgrundlage abhängen würden“ (ähnlich Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3).
Weiter dürfen nach § 14 Abs. 2 Nr. 4 als V-Leute nicht angeworben werden Parlamentarier und deren Mitarbeiter. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Es geht hier um den Schutz des Vertrauensverhältnisses von Parlamentariern.
Dasselbe muss dann aber auch gelten für alle Personen, die zum Schutz des Vertrauensverhältnisses ein berufliches Zeugnisverweigerungsrecht haben bzw. sich nach § 203 StGB bei Verletzung des ihnen anvertrauten Privatgeheimnisses sogar strafbar machen würden. Die Ziffer 4 wäre somit zu ergänzen dahingehend, dass die in §§ 53, 53a StPO mit einem Zeugnisverweigerungsrecht ausgestatteten Personen (Rechtsanwälte, Ärzte, Pfarrer, Journalisten usw. sowie ihre Berufshelfer) nicht als V-Leute angeworben oder eingesetzt werden dürfen.
Nach § 14 Abs. 2 Ziffer 5 sollen als V-Leute nicht eingesetzt werden dürfen Personen, die wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden sind. Dies bedeutet, dass entgegen den öffentlichen Diskussionen über den Ausschluss der Zusammenarbeit mit Kriminellen als V-Leuten dies durch die Neuregelung praktisch nicht ausgeschlossen wird. Denn V-Leute, die verurteilt sind wegen Betruges, Diebstahls, unerlaubten Waffenbesitzes, Betäubungsmittelhandel, Körperverletzung, Nötigung, Sachbeschädigung, Unterschlagung, Untreue und nahezu aller weiteren Delikte aus dem Strafgesetzbuch mit Ausnahme von schwerer Körperverletzung, schwerem Raub oder Mord, dürften in aller Regel –
zumindest wenn es sich um Ersttäter handelt – eine Strafaussetzung zur Bewährung erhalten haben und folglich weiterhin taugliche V-Leute sein.
Diese im Gesetz vorgesehene Eingrenzung ist also keine Eingrenzung. Und selbst von dieser nicht vorhandenen Eingrenzung kann die Behördenleitung auch noch eine Ausnahme zulassen (mit Ausnahme von Mord und Totschlag), sodass auch Schwerverbrecher als V-Leute tauglich werden!
Mindestens müsste als Grenze für eine Zusammenarbeit mit einer V-Person eine Bestrafung von maximal einem Jahr vorgesehen werden, wie es etwa das Bundesverfassungsschutzgesetz in § 9a Abs. 3 Satz 3 vorsieht für das Absehen von Strafe.
§ 17 regelt die Speicherung, Sperrung und Löschung von Daten und sieht in Absatz 3 ausdrücklich vor, dass jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen auch Daten über minderjährige Personen unter 14 Jahren gespeichert werden dürfen. Genau eine gegenteilige Regelung ist erforderlich, wie sie in § 13 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes enthalten ist. Nach dessen Absatz 1 ist schon die Erhebung von personenbezogenen Daten über minderjährige Personen unter 14 Jahren schlicht unzulässig. Dabei hat es zu bleiben.
Und die Erhebung von Daten über minderjährige Personen über 14 Jahren sollte nur unter gesteigerten Voraussetzungen zulässig sein, wie in § 13 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes im Einzelnen und nochmals unterschieden nach dem Lebensalter von 16 Jahren geregelt; auf das Gesetz wird verwiesen.
Nach § 21, Informationsübermittlung durch das Landesamt, soll nach Absatz 1 Ziffer 2 ceine Informationsübermittlung zulässig sein zur „Überprüfung der Verfassungstreue von Personen, die sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben“. Dies ist ein Wiederaufleben der menschenrechtswidrigen Berufsverbotspraxis früherer Jahre. Anscheinend ist den Verfassern des Gesetzesentwurfes entgangen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 1995 die deutsche Praxis der Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst durch den Verfassungsschutz als Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention erkannt hat.
Dass nach dem Gesetzentwurf die Überprüfung der Verfassungstreue durch den Verfassungsschutz nur mit deren Einwilligung geschehen soll, ist eine untaugliche Einschränkung, denn wenn die Bewerber ihre Einwilligung nicht erteilen, werden sie eben nicht eingestellt. Der Buchstabe c ist somit als verfassungswidrig zu streichen.
Nach Absatz 1 Ziffer 2 i soll der Verfassungsschutz Informationen übermitteln dürfen zur Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen, die in Beratungsstellen oder Gremien tätig sind zur Prävention und Intervention gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen „oder in mit Landesmitteln geförderten Projekten.“ Auch dies ist eine nicht hinnehmbare Schnüffelei.
Zwar schränkt – offensichtlich aufgrund des öffentlichen Protestes der betroffenen Organisationen – der Änderungsantrag vom 14.12.2017 Drucksache 19 / 5782 die vorgesehene Regelung ein insoweit, dass die Überprüfung nur anlassbezogen in begründeten Einzelfallen erfolgen soll sowie bei der erstmaligen Förderung von Organisationen mit Landesmitteln. Auch diese Regelung verhindert das erforderliche Vertrauen der betroffenen Personen in diese Organisationen und sollte daher schlicht gestrichen werden. Im übrigen gehe ich davon aus, dass die anderen zur Anhörung im Hessischen Landtag aufgeforderten Sachverständigen hierzu näher Stellung nehmen werden.
§ 27 regelt das Auskunftsrecht betroffener Personen gegenüber der Verfassungsschutzbehörde, „soweit die betroffene Person hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt.“ Auch diese Regelung entspricht zwar dem Bundesverfassungsschutzgesetz (§ 15), sie ist aber unzureichend. Sie verlangt von dem auskunftsinteressierten Bürger, dass er sich sozusagen selbst erst einmal „beschuldigt“, indem er auf einen konkreten Sachverhalt hinweist, weshalb er eventuell gespeichert sein könnte, und dann noch ein „besonderes Interesse“ an einer Auskunft darlegen soll. Warum eigentlich? Wenn das Landesamt für Verfassungsschutz nichts zu verbergen hat, warum soll es dann eine Auskunft nicht ohne wenn und aber (natürlich mit Berücksichtigung des Quellenschutzes) erteilen?
Es wird empfohlen die Übernahme in § 30 Abs. 1 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz: „Die Verfassungsschutzbehörde erteilt Betroffenen auf Antrag untentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherter Daten, den Zweck und die Rechtsgrundlage der Speicherung sowie die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen.“ Selbstverständlich können dann – wie im Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz – in einem weiteren Absatz die Einschränkungen der Auskunftspflicht insbesondere aus Gründen des Quellenschutzes, der Rechte Dritter oder der Geheimhaltungsbedürftigkeit geregelt werden.

Bingen, den 16. Januar 2018
TILL MULLER-HEIDELBERG
Rechtsanwalt, Beiratsmitglied und Ehemaliger Bundesvorsitzender Humanistische Union