„Schon die Begründung für dieses Gesetz ist verfassungswidrig“, erklärte Dr. Till Müller-Heidelberg. Ähnlich äußerten sich auch die anderen Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Stirbt Freiheit mit Sicherheit?“ am Mittwoch (7. Februar) in Wiesbaden.
150 Interessierte waren der Einladung der Linken, des Chaos Computer Clubs (CCC), der Humanistischen Union (HU) und der Internationalen Liga für Menschenrechte ins „Haus an der Marktkirche“ gefolgt. Gut zwei Stunden lang debattierten Bürgerrechtler, Datenschützer und Juristen dort über den Entwurf eines Gesetzes „zur Neuordnung der Arbeit des Verfassungsschutzes in Hessen“. Am Vorabend der parlamentarischen Anhörung im Hessischen Landtag stellten drei geladene Sachverständige ihre Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der schwarz-grünen Regierungskoalition in Hessen vor.
Zu Beginn fasste die Linken-Fraktionsvorsitzende Janine Wissler die Kritik am geplanten Verfassungsschutzgesetz zusammen. Der Entwurf eröffne dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) mehr Macht, obwohl diese Behörde eigentlich besser kontrolliert werden müsse. Beim Umgang mit den Ermittlungen im Mordfall Halit Yozgat habe sich der hessische Geheimdienst nicht gerade als vertrauenswürdige Institution empfohlen.
Anschließend stellte Dr. Constanze Kurz vom Chaos Computer Club die Kritik am sogenannten „Hessentrojaner“ vor. Dabei unterscheide das Gesetz zwei unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten: Während die Quellen Telekommunikations-Überwachung (TKÜ) dem Ausspionieren von Kommunikation per Mail, Messagern oder über Sociall Media diene, ziele die sogenannte „Online-Durchsuchung“ auf die Erfassung von Daten und Software auf „Datentechnischen Systemen“ ab.
Darunter seien nicht nur PCs oder Handys zu verstehen, erklärte Kurz, sondern auch elektronisch gesteuerte Geräte bis hin zu Autos oder Operationssystemen in Krankenhäusern. Eine Infiltration all dieser geräte schließe der Gesetzentwurf nicht aus.
Kurz bezweifelte indes, dass ausgerechnet der hessische Geheimdienst einen eigenen Trojaner entwickeln könnte. Das Knowhow dafür besitze schließlich nicht einmal das Bundeskriminalamt (BKA), das seinen Handy-Trojaner „Finspy“ bei einer externen Firma eingekauft hat. Der Kauf von Spähsoftware sei ethisch höchst problematisch, weil die mit diesen Staatsgeldern entwickelten Trojaner später häufig auch an Diktaturen verkauft werden und zur Überwachung von Oppositionellen eingesetzt werden.
Ethisch unvertretbar sei zudem, die Software durch das Ausnutzen von Lücken in Computerprogrammen zu entwickeln. Das führe zur Geheimhaltung solcher Lücken, die dann über längere Zeit auch von anderen Hackern genutzt werden könnten. Sicherheit entstehe für alle Computernutzer weltweit aber nur, wenn jede Softwarelücke sofort an den jeweiligen Entwickler gemeldet und dann möglichst umgehend geschlossen werde.
Von eigenen Erfahrungen mit der Arbeit des Verfassungsschutzes berichtete anschließend Sandro Witt. DerStellvertretende Vorsitzende des DGB Hessen-Thüringen hatte bei seiner Arbeit in Projekten zur Aufklärung über Faschismus miterlebt, wie ein vom Verfassungsschutz auf diese Projekte angesetzter V-Mann die Beratungsarbeit zu behindern versuchte. Nur durch den Hinweis eines wachen Mitbürgers sei bekannt geworden, dass der auffallend freundlich auftretende Mann als V-Mann für den Geheimdienst arbeitete.
Selbst vom Verfassungsschutz überwacht wurde auch Dr. Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR). Die über 40 Jahre andauernde Bespitzelung wurde mittlerweile gerichtlich als verfassungswidrig erkannt. In Bremen ist der Rechtsanwalt inzwischen sogar selbst stellvertretender Verfassungsrichter.
Gössner bemängelte vor Allem die mangelhafte Kontrolle des Verfassungsschutzes in Hessen. Das neue Gesetz sehe eine Wahl zur Parlamentarischen Kontrollkommissiom (PKK) durch Abstimmung mit Mehrheit vor. Verfassungsgemäß wäre allerdings die Vertretung aller Parlamentsfraktionen in dem Gremium.
Nötig sei zudem ein Recht jedes einzelnen Mitglieds des Gremiums, Büros und Einrichtungen des Verfassungsschutzes jederzeit unangemeldet zu betreten und ungestört mit den Mitarbeitern zu sprechen. Zudem plädierte Gössner für das Recht der Beschäftigten der Behörde, sich unter Umgehung des Dienstwegs direkt an ein Mitglied der Kommission zu wenden, ohne dadurch irgendwelche Nachteile befürchten zu müssen. Dieser „Whistleblower-Schutz“ fehle im Gesetzentwurf jedoch.
Ohnehin sei ein Geheimdienst in einer Demokratie kaum zu kontrollieren. Das vorliegende Gesetz erschwere die Kontrolle aber noch stärker, als das in anderen Bundesländern der Fall sei.
Müller-Heidelberg kritisierte bereits die Aufgabenzuweisung für den Verfassungsschutz. Laut dem Gesetzentwurf soll der Geheimdienst „extremistische“ Tendenzen, Terrorismus und Organisierte Kriminalität bekämpfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist „Extremismus“ aber ein politischer Kampfbegriff, der keiner juristischen Bewertung unterliegt und sich je nach politischer Einstellung und gesellschaftlichem Umfeld ändert.
Für den Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität sei nicht der Verfassungsschutz zuständig, sondern die Polizei, erläuterte Müller-Heidelberg. Der ehemalige Bundesvorsitzende der Humanistischen Union wies darauf hin, dass das Land hierzu gar keine Gesetzgebungskompetenz besitze und deshalb damit ebenso scheitern werde wie das Land Sachsen mit ähnlichen Regelungen vor dem Sächsischen Verfassungsgericht.
Besonders scharf ging Müller-Heidelberg mit einer Regelung des Gesetzes ins Gericht, wonach Verdeckte Ermittler und auch V-Leute des Verfassungsschutzes ohne juristische Folgen auch schwere Straftaten begehen dürfen. Lediglich schwere Körperverletzung und Mord seien ausgeschlossen. Diese Regelung sei mit einem Rechtsstaat absolut unvereinbar, erklärte Müller-Heidelberg.
„Dieses Gesetz bring nicht mehr Sicherheit, sondern mehr Unsicherheit“, resümierte ein Teilnehmer aus dem Publikum bei der abschließenden Fragerunde. Auch die Erhebung von daten bei Unbeteiligten und Unverdächtigen sowie bei Kindern unter zwölf Jahren wurde heftig angeprangert.
Alle Anwesenden waren sich einig, dass der Gesetzentwurf einer rechtlichen Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kaum standhalten werde. Mehrmals wurde darauf hingewiesen, dass der konsequente Schutz der Grundrechte und insbesondere der Meinungsfreiheit ein unverzichtbares Kernelement der Demokratie ist. Gössner und Müller-Heidelberg traten auch für die Auflösung des Inlandsgeheimdiensts ein, denn gelebte Demokratie und das Engagement der Bürgerschaft seien letztlich der beste Verfassungsschutz.
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