VSG nee: Kundgebung gegen Verfassungsschutzgesetz vor dem Landtag

Auf dem Dernschen Gelände ist es bitter kalt. Trotz der Temperaturen von -7 Grad stehen mehr als 100 Menschen vor dem Landtag.

Ab 10 Uhr findet im Hessischen Landtag die parlamentarische Anhörung des Innenausschusses zum „Gesetz über die Neuordnung der Arbeit des Verfassungsschutzes in Hessen“ statt. bereits ab 9 Uhr protestieren Bürgerrechtler und Datenschützer aus ganz Hessen in Wiesbaden gegen das geplante Gesetz.
Wir sind gut 10 Minuten vor 9 Uhr auf dem Platz angekommen. Einige Piraten stehen schon da und begrüßen uns.
Dr. Michael Weber verteilt die „Bauchbinden“ mit Sprüchen gegen das Gesetz. Der Politische Geschäftsführer der Piratenpartei Hessen hat sie von unserer gemeinsamen Aktion in Marburg hierher mitgebracht.
Ich hänge mir den gleichen Spruch um den Hals wie am Montag (5. Februar) bei der Aktion vor der Grünen Kreisgeschäftsstelle in Marburg. „Nichts gesehen, nichts gehört – NSU killt ungestört vom Verfassungsschutz“, steht auf dem laminierten Plakat im Format DIN A4. An einer schmalen Schnur baumelt es vor meinem Bauch.
Weitere Demonstrierende strömen auf den Platz. Auch die Landtagsabgeordneten Janine Wissler und Hermann Schaus von den Linken stoßen zu der Kundgebung.
Zum Aufwärmen singt Jochen Schäfer den „Secret Service Song: Wissen, wer was Macht“. Dazu klatschen wir rhythmisch. Den Refrain „Wissen ist Macht; wir wollen alles wissen, was wer wo macht“, singen wir gemeinsam. Der Platz füllt sich allmählich. Erste Sprechchöre werden laut: „VSG nee!“
Wir stimmen mit ein. Dann bedeutet uns jemand, still zu sein, weil der Hessische Rundfunk gerade ein Interview mit Dr. Constanze Kurz aufzeichnet.
Bei der Podiumsdiskussion am Vorabend im „Haus an der Marktkirche“ hat die Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC) aus Berlin ausführlich ihre Kritik am sogenannten „Hessentrojaner“ dargelegt. Für das Fernsehen muss sie ihre Expertise nun aber auf wenige Sätze begrenzen. Dafür wird sie aber zu den Experten gehören, die der Landtag zur Anhörung geladen hat.
Nachdem das Fernsehteam fertig ist, kann es gegen 9.30 Uhr endlich losgehen. Jochen singt den „Secret Service Song“ und viele stimmen mit ein. Ich stehe direkt neben ihm.
Anschließend spielt der Lautsprecher einen Pop-Song. Danach gibt es die erste Rede vom Marburger HU-Regionalvorsitzenden Franz-Josef Hanke.
„Heute ist Weiberfastnacht“, stelle ich fest. „Man könnte glatt meinen, dass die Jecken die Regierung übernommen haben: In Berlin bekommt Horst Seehofer ein Heimatministerium, weil er nach seiner Vertreibung aus Bayern eine neue Heimat sucht; und in Hessen will die schwarz-grüne Landesregierung dem Verfassungsschutz mehr Macht einräumen, damit er künftig legal all das machen darf, was er jetzt heimlich macht.“
Verdeckte Ermittler und V-Leute des Verfassungsschutzes sollen nach dem neuen Gesetz ungesühnt Straftaten begehen dürfen. Das hatte der Bingener Rechstanwalt und frühere HU-Bundesvorsitzende Dr. till Müller-Heidelberg am Vorabend heftig kritisiert. Auch er ist zur Anhörung als Sachverständiger der Humanistischen Union (HU) geladen.
Ich hingegen spreche nur draußen vor dem Parlament. „Einem Geheimdienst, der den Quellenschutz höher einstuft als Ermittlungen in einem Mordfall, dem darf man keinerlei Macht einräumen“, frordere ich in Anspielung auf das Vorgehen des Hessischen Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) im Mordfall Halit Yozgat. „Noch sitzt in diesem Landtag keine AfD-Fraktion, aber wenn sich die Entwicklung fortsetzt, dann könnte der Geheimdienst irgendwann vielleicht sogar in die Hände von Rechtspopulisten geraten wie in Österreich“, warne ich.
Bei der Podiumsdiskussion hatte Dr. Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR) die mangelnde Kontrolle des Geheimdiensts kritisiert. Vollständig fehle in dem Gesetz ein Whistleblower-Schutz für Mitarbeiter des Verfassungsschutzes.
Daran denke ich, als ich die Anwesenden zum Schluss meiner Rede auffordere, doch einmal die Tagebücher von Viktor Klemperer zu lesen. Große Sorgen bereitet mir, dass der Abbau der Demokratie und der Bürgerrechte schleichend vonstatten geht. „Gelebte Demokratie ist der einzig wirksame Verfassungsschutz“, stelle ich schließlich fest.
Nach mir hält der Linken-Fraktionsvorsitzende Hermann Schaus eine Rede. Danach verabschieden sich die meisten Demonstrierenden und gehen hinein in den Landtag zur Anhörung.
Ich unterhalte mich noch kurz mit einem Aktiven der vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA). dann müssen wir leider wieder aufbrechen und uns auf den Rückweg nach Marburg begeben. Aber wenigstens haben wir getan, was wir konnten, um für Freiheit und Demokratie einzutreten.

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