Nicht nur in Deutschland ist das Leugnen des Holocaust strafbar. Wer jedoch die Lehren aus der Shoa missachtet, kann trotzdem Bundesinnenminister bbleiben.
„Masterplan“ nennt Horst Seehofer seine perfide Auflistung von Abwehrmaßnahmen gegen Geflüchtete. In grenznahe Lager einsperren möchte der CSU-Vorsitzende Flüchtlinge, die schon in anderen europäschen Ländern einen Fingerabdruck hinterlassen haben. „Kurzen Prozess“ möchte er mit ihnen machen und sie möglichst gleich wieder zurückschicken.
An der Grenze abgewiesen wurde auch der Philosoph Walter Benjamin. Aus Furcht vor einer Auslieferung ans Hitler-Regime setzte er am 26. September 1940 in Portbou seinem Leben selbst ein Ende. In Frankreich drohte ihm als gebürtigen Juden eine Deporttation in ein Konzentrationslager (KZ).
Im Internierungslager Girenbad oberhalb von Hinwil im schweizerischen Kanton Zürich starb der jüdische Kantor Josef Schmidt am 16. November 1942 an Entkräftung. Gegenüber dem NS-Propagandaminister Josef Göbbels hatte sich der weltberühmte Tenor geweigert, sich „arisieren“ zu lassen. In der Schweiz wurden Flüchtlinge aus Deutschland damals aus ähnlichen Gründen interniert, wie Seehofer sie heute für seine grenznahen Flüchtlingslager mit dem vrharmlosenden Namen „Transitzentrum“ angibt.
Juden, Roma und Sinti oder Behinderte wurden von den Nazis zu „Volksschädlingen“, zu „Schmarotzern“ oder „unwertem Leen“ erklärt und damit entmenschlicht. Die „arische Rasse“ wollten sie von „fremdem Blut“ freihalten. „Deutschland den Deutschen“ und die Suche nach mehr „Raum“ für das „deutsche Volk“ waren die Begründung für die systematische Ermordung von Millionen Menschen in industriellem Stil und für einen verbrecherischen Weltkrieg mit systematischen Angriffen auch auf die Zivilbevölkerung.
Viktor Klemperer hat in seinem kleinen Buch „LTI – Lingua tertii Imperii“ die Sprache der Nazis und ihre Ideologie analysiert. Erschreckende Parallelen finden sich heute wieder in der Sprache der rechtspopulistischen AfD, aber auch in Begriffen, mit denen die GroKo ihre rassistische Hetzpolitik gegen Geflüchtete maskieren möchte.
„Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ Längst ist dieser schwur der Überlebenden des Holocausts zu einem leeren Lippenbekenntnis verkommen. Die Lehren aus der Shoa werden tagtäglich durch eine Politik entwertet, die Grenzen abschotten und Seenotrettung im Mittelmeer kriminalisieren will.
Zum Dank für die Aufnahme Tausender Deutscher in zahlreichen Ländern haben die mütter und Väter des Grundgesetzes das Asylrecht im Grundgesetz verankert. Es ist tnicht nur eine humanitäre Pflicht jedes Staats gegenüber jedem bedrohten Menschen, sondern ganz besonders eine historische Verpflichtung für Deutschland angesichts seiner besonderen Geschichte. Die Achtung des Asylrechts ist ein Ausdruck des Respekts vor den Lehren aus der Shoa.
Die ständige Aushöhlung und Einschränkung des Asylrechts hingegen ist für mich eine Art „Holocaustleugnung“. Wer 6 Millionen Morde an Juden, an Roma und Sinti, an Kommunisten und Christen, an Oppositionellen und solidarischen Mitmenschen zwar nicht bestreitet, aber alle Konsequenzen daraus ablehnt, der ist für mich im Ergebnis auch nichts Anderes als ein Holocaustleugner.
Während Überwachung durch Polizei und Geheimdienste ausgebaut, psychisch kranke Menschen als „Gefährder“ behandelt und Geflüchtete im Meer dem Schicksal des Ertrinkens überlassen werden, schwafeln Politiker der regierenden Großen Koalition von „europäischen Werten“. Diese Werte waren für mich der Abbau der Grenzen durch den Vertrag von Schengen und die „vier Freiheiten“, deren wichtigste für mich und viele meiner Zeitgenossen die Reisefreiheit war und ist.
Wie war es nur möglich, dass die Humanität so schnell untergehen konnte? Wie war es nur möglich, dass so vielen Menschen die Empathie abhanden kommen konnte?
Wenn wir nicht wiedererleben wollen, wovor unsere Väter und Mütter, unsere Großväter und Großmütter uns zu Recht gewarnt haben, dann ist es jetzt höchste Zeit, auf die Straße zu gehen. Nicht Rechtspopulisten werden die nächsten Wahlen entscheiden, sondern hoffentlich immer noch Menschen mit Herz und Hirn sowie vor allem mit Empathie.
Franz-Josef Hanke